Leon Pössinger geht in den Verwaltungstrakt des Tierheims. Er tritt an die Hundekarteien. Mit den Käfigen ist er gerade fertig geworden. Wenn er ein Menschenfreund wäre, hätte er den Typen mit seinem Husky-Mix, der da fast eine dreiviertel Stunde vor der Öffnungszeit aufkreuzte, ran nehmen können. Aber Leon behält sich vor, zumindest in manchen Fällen kein Menschenfreund zu sein. Er arbeitet ja hier, weil er Tierfreund ist. Und dann diese Typen wie der eben! Surfen wahrscheinlich mindestens drei Stunden täglich im Netz rum, können sich aber nicht die Öffnungszeiten des Tierheims raussuchen, wenn es darum geht, dass der süße Vierbeiner lästig wird. Pössinger zieht mechanisch einige Karten und vermerkt Banalitäten der letzten Tage: mehrere Impfungen, zwei leichte Infekte, einen Scheinangriff, vier Trainingseinheiten und ähnliches. Schadenfroh wirft er zwischen den Eintragungen einen Blick durch die Jalousien auf den Typen vor dem Tierheim. Sven Möller.
Der schiebt seine Zigarette vom rechten in den linken Mundwinkel und geht mit dem Hund an der Leine hin und her. Immer etwa 6-7 Schritte nach rechts und dann wieder nach links, dann ein kleiner Tritt an den großen Findling neben dem Weg, ein Blick auf die Betonmauern des städtischen Tierheims und wieder 6-7 Schritte nach rechts. Nieselregen legt sich auf seine Jeans. Der Hund springt von einer Seite des Wegs zur anderen, um zu schnüffeln. Dann hebt er den Kopf und wittert wahrscheinlich nach dem nahen Pferdehof.
‚Könnte ich ja gleich die Karte anlegen’, denkt Pössinger ironisch, ‚auf jeden Fall: „nicht leinenführig“.
Schließlich ist es 11.00 Uhr. Sven Möller betritt zum zweiten Mal den Eingangsbereich des Tierheims.
Die Dame hinter dem Tresen, tippt noch etwas in den Computer und sieht ihm dann entgegen.
„Sie möchten ihn abgeben?“
„Muss ick. Arbeit bekommen un’ so.“
„Und es besteht keine Möglichkeit, dass Sie jemand mit dem Tier unterstützt…Sie müssen wissen, wir sind seit Monaten überbelegt.“
„Na, hören Se mal! Ick warte hier seit über eener halben Stunde und dann kommen Se mit Überbelejung….“
„Bleiben Sie bitte ganz ruhig. Ich habe ja nicht gesagt, dass wir ihn nicht nehmen, was auch schon vorgekommen ist. Ich hole am besten jemanden von den Hunden.“
Sie geift nach dem Telefon und fragt nach Pössinger.
Einige Minuten später kommt Leon Pössinger zur Rezeption. Er lässt sich nichts anmerken. Der Husky-Mix will an Pössinger hochspringen und wird von Möller halbherzig zurückgezogen.
„Abgabe?“
„Ja.“
„Ich hol mal den Bogen.“ Leon greift sich ein Formular vom Tresen und zieht einen Stift aus der Brusttasche seiner Latzhose. Er reicht beides an Möller weiter. „Füllen Sie mal aus, ich nehme solange den Hund.“
Möller atmet tief ein. „Ohne Bürokratie jeht’s wohl nich’, wa?!“
Pössinger geht auf die Bemerkung nicht weiter ein, sondern fragt stattdessen:
“Sie wissen, dass es 85 Euro kostet, wenn wir ihn nehmen sollen?“
„85? Ich dachte 63,50!“, entsetz sich Möller.
„Kleinrassige 64 Euro. Die Großen 85 Euro.“
„So viel hab’ ick jar nich bei.“
„Dann zahlen Sie 60 Euro an und wir stellen den Rest in Rechnung.“
„Und vom neuen Halter nehmen Se’s dann ooch noch!“
„Genau. Umsonst is’ nich’!“, ahmt der Tierpfleger Möller bissig nach. Der Hund an seiner Leine wendet sich neugierig von einer Seite zur anderen, will zur Kollegin am Tresen, schnuppert in die Richtung der Verkaufsstände. Pössinger schätzt ihn auf ein gutes Jahr. Er schielt auf die Auskünfte, die Möller einträgt.
Das mit dem Jahr kommt hin. Unter den Abgabegründen kreuzt Möller mehrfach an: Zeitmangel, Platzmangel, Geldmangel. Bei Charakter steht gelehrig, artig, gut erzogen.
Das war für die Pfleger immer ein Witz: der gut erzogene Rüde mitten in der Rüpelphase.
Schließlich hat Möller das Formular ausgefüllt und der Pfleger weist ihn zum Bezahlen an den Tresen. Er bleibt noch kurz dabei. Möller wendet sich um und will seinem Hund den Kopf tätscheln. Der Hund springt freudig an ihm hoch. „Mach’s jut, Alter. Vielleicht sieht man sich mal…Det wird schon.“ Dann geht er. Der Hund will ihm nach, aber als der Pfleger an der Leine ruckt, wendet er sich diesem freudig zu.
Pössinger geht mit Schwung auf den Ausgang zu und fordert den Hund auf mitzukommen.
„Dann mal los zum Tierarzt. Wirst sehen, alles halb so schlimm.“