Geschichte aus dem Miliöh

Für eine knappe halbe Stunde war unser Kaulsdorf gestern wieder einmal das Hundeparadies. Die „Chefin von’t Janze“ brach mit mir zu unserer Runde zwischen Feld und Kleingartenanlage auf. Nichts Spektakuläres, einfach nur unsere alltägliche Runde. Mit den Terror-Königspudeln war um diese Zeit nicht zu rechnen. Und die ersten Schneeflocken der Saison überraschten uns. Sie legten über meinen Rücken einen dünnen weißen Pelz und einen sanften Schleier über die von uns noch nicht fürs Futter geernteten letzten Hagebutten am Wegrand. Das Brachland zwischen Kleingärten und Kanal bekam durch sie gleich so einen Hauch von nordischer Weite. Allerdings kommt es in meiner ursprünglichen Heimat selten vor, dass man es Brüllen hört: „Hierher! Sofort! Alle beide! Hierher, kommt ihr wohl. Los!“ Die unfreundliche Männerstimme wurde von Gebell und Gekläff umrahmt.
Aufgeschreckt versuchte die „Chefin von’t Janze“ einen Blick auf die Situation zu erhaschen, doch die Wildrosenbüsche verdeckten zum Teil die Sicht. Offensichtlich war eine muntere Hundejagd im Gange, doch recht weit weg von uns und in die entgegengesetzte Richtung. Also kein Grund unsere Route zu ändern. Wir stiegen ein Stück bergan und blinzelten den dichter werdenden Flocken entgegen als wir nach einer Weile auf einmal hektisches Kläffen hinter uns vernahmen.
Die „Chefin von’t Janze“ fuhr mit mir an der Leine herum. Vor uns stand jetzt ein größenwahnsinniger Staubwedel, den ich hätte am Genick packen können, wenn ich nicht an der Leine gewesen wäre oder der auch mit einem Gummistiefeltritt von der Chefin hätte in den Kanal befördert werden können. Allerdings handelte es sich bei ihm nur um die unbedeutende Vorhut, ihm folgte „Djego“, eine Art Mischung aus Boxer und Ridgeback. Das Chaos-Duo vom Kanal. Die Chefin zog augenblicklich ihre stärkste Waffe, die Wasserflasche, die sie jetzt immer bei sich hat, für den Fall, dass ich den Pudeln begegne. Djego, der voll in die Attacke des Staubwedels eingestiegen war, bekam bei jedem Zähnefletschen eine Dusche voll ins Gesicht, was ihn kurzzeitig verwirrte, aber nicht wirklich bremste. Hinten am Berg rief es wie vor einigen Minuten auch schon: „Djego! Hierher! Sofort! Alle beide! Hierher, kommt ihr wohl. Djego! Los!“ Ich versuchte, das in Hundeknurren zu übersetzen, aber das interessierte die beiden genauso wenig wie ihr Herrchen oder unsere Sprühflasche sie interessierte. Die „Chefin von’t Janze“ verlor so langsam den Glauben an den Endsieg ihrer Waffe und donnerte den Mann an: „Vielleicht legen Sie mal selbst einen Zahn zu und leinen die Hunde an, ehe noch was passiert!“
Tja, is‘ so, manchen Menschen muss man so was sagen. Der Trottel ergänzte sein Gebrülle tatsächlich durch einen Laufschritt, kam am Kampfplatz an und hatte nun so viel Wut in der Stimme, dass seine Hunde auszuweichen versuchten, anstatt sich anleinen zu lassen. Mit letztem Einsatz warf er sich selbst in Richtung Ridgeback und griff zugleich nach dem Staubwedel, der ihm daraufhin prompt aus dem Halsband rutschte. Aber immerhin waren wir dadurch nicht mehr der einzige Gegner des Chaos-Duos.
Während er mit seinem Rudel rang, rang die Chefin wie immer in solchen Situationen mit sich: Sagste nun was, oder nicht? Spricht die Situation nicht schon für sich? Inzwischen kann sie sich da ja oft schon zurückhalten, aber unser erster Schnee heute hätte so schön werden können, so friedlich … da brach es dann doch aus ihr hervor: „Also, wissen Sie, mein Hund hat jetzt voll den Stress gehabt!“
Der Typ versuchte zu scherzen: „Ich auch!“ Das war aber noch nicht die Spitze seines Humors.
Die Chefin: „Ja, was lassen Sie die denn dann von der Leine, wenn die nicht hören?“
Er: „Die hören ja.“
Die Chefin: „Wie, die haben doch jetzt grade gar nicht gehört!“
Er, entschuldigend: „Ja, der Kleine, der nicht.“
Die Chefin wieder: „Wo hat denn der Große grade gehört?“
Ich muss auch noch dazu das Bild ergänzen, das die kleine Diskussionsrunde dabei abgab. Der Typ hing immer noch so halb über seinen Ridgeback, so dass die Kommentare der „Chefin von’t Janze“ quasi von oben herab kamen.
Also, die Chefin mit ihrem: „Wo hat denn der Große grade gehört?“
Und er: „Na der Große ist ja jetzt dem Kleinen hinterher. Das ist sein Rudel.“
„Du willst mir also sagen, der Kleine ist der Rudelführer von dem Großen und dir. – Mann, du musst die anleinen, wenn die andere angreifen und nicht abrufbar sind. Dann hast du auch keinen Stress. Da braucht man doch kein Abitur für, um das zu verstehen.“
Ich zog dann mal schon etwas an der Leine, weil ich dachte, mehr muss die ja nun wirklich nicht sagen. Offensichtlich war ja das Rudel auf den Grips des größenwahnsinnigen Staubwedels angewiesen, da musste das ja erstmal verdaut werden. Zur Ehrenrettung unserer Kleingartenanlage muss man sagen: die meisten kommen ganz gut miteinander aus. Frei … oder an der Leine, Wie’s grad jeder so braucht. Das meiste läuft noch so, wie die Chefin es als Kind erlebt hat. Aber leider schneit das Miliöh auch hier herein. Mit denen, die auf einige von uns zurasen, um „nix zu tun“ und die leicht besaiteten von uns erschrecken, mit denen, die „das zum ersten Mal machen“, aber auch denen, die Giftköder legen.

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